Etwas pessimistisch eröffne ich hiermit die Kategorie „Redefreiheit“ und versehe sie mit einer fortlaufenden römischen Zahl, da davon auszugehen ist, dass der folgende Fall nicht der einzige bleiben wird.
Die akademische Redefreiheit ist in Gefahr. Und das nicht nur hypothetisch, sondern ganz real. Erst vor wenigen Tagen hielt die Universität zu Cambridge eine Abstimmung (!) darüber ab, ob aufgrund von Befindlichkeiten die wissenschaftliche Forschung und Redefreiheit eingeschränkt werden solle. Erfreulicherweise wurde dagegen gestimmt.
Auch an deutschen Institutionen wird kritischen Stimmen das Wort entzogen. In diesem Beitrag geht es um die Philosophin Prof. Kathleen Stock.
Prof. Kathleen Stock und das ZAS Berlin
Prof. Kathleen Stock ist Professorin für Analytische Philosophie an der Universität Sussex. In wenigen Monaten soll ihr Buch „Material Girls“ veröffentlicht werden, worin sie über die derzeit virulenten konzeptuellen Verwirrungen rund um Geschlecht und Körper schreibt.
Sie hatte anlässlich einer im Mai 2021 stattfindenden Konferenz am ZAS Berlin ein Abstract eingereicht. Das ZAS Berlin (Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft) ist ein außeruniversitäres, aber staatlich finanziertes Forschungsinstitut. Unter dem Obertitel „Oppressive Speech, Societies & Norms“ – übersetzt etwa „Unterdrückende Sprache, Gesellschaften und Normen“ – sollte sie eigentlich unter der Sektion unter dem Titel „Theme 5: Disinformation, Epistemic Vices & Online Harm“ – also übersetzt etwa „Desinformation, epistemische ‚Untugenden‘ und Online-‚Schaden'“ – sprechen.
Dazu hatte sie, wie es üblich ist, dem ZAS ein Abstract zugesendet, worin sie ihren Vortragsinhalt skizzierte. Auf Grundlage dieses Abstracts wurde sie zur o.g. virtuellen Konferenz eingeladen. Der Text wurde auch bereits auf der Website des ZAS Berlin veröffentlicht.
Hier ist das Abstract:
Frei übersetzt heißt das in etwa:
Wenn gute Philosophen Böses tun: Versuche, die Sprache über Frauen zu kontrollieren
Mit gut gemeinter Veränderungsabsicht wird am traditionellen Begriff FRAU etwas zu verbessern versucht, was keiner Verbesserung bedarf: Ein Begriff, ohne den die Kommunikation über wissenschaftliche Fakten (z.B. über menschliche Biologie und Fortpflanzung) und viele soziale Aspekte (z.B. Mutter-, Tochtern-, Großmutter- und Schwesternschaft, Mädchen- und Lesbischsein, und deren männliche Äquivalente) unvorstellbar erschwert werden würde.
Es gibt weibliche Lebewesen, die nicht menschlich sind, daher benötigen wir einen Begriff für weibliche Menschen;
und es gibt weibliche Menschen, die nicht erwachsen sind, also brauchen wir einen Begriff für weibliche erwachsene Menschen.
Dieser Begriff lautet FRAU.
Setzen wir voraus, dass Menschen, verstanden als sexuell dimorphe Spezies mit der Fähigkeit zum Spracherwerb, diesen Begriff weiterhin für hunderte soziale Gelegenheiten benötigen: dann können die Versuche von PhilosophInnen, diesen Begriff aufzulösen – indem sie das Referenzobjekt (nämlich weibliche erwachsene Menschen, die mit dem Begriff Frau bezeichnet werden) verändern – nur unterdrückend sein, vor allem, wenn sie in einem hochgradig moralisierenden Ton kommuniziert werden.
Soweit, so nachvollziehbar, und so notwendig, darüber zu sprechen.
Frau = weiblicher erwachsener Mensch
Der Begriff „Frau“ als Bezeichnung für einen weiblichen erwachsenen Menschen wird seit einigen Jahren attackiert. Im englischsprachigen Raum wurde ein Plakat, auf dem lediglich die Lexikondefinition von Frau als „adult human female“, also „weiblicher erwachsener Mensch“ abgedruckt war, wegen des Vorwurfs der „Hassrede“ entfernt.
Ein Bericht von den britischen SkyNews darüber ist in diesem Video zu sehen.
Zur Erinnerung hier der Eintrag im ,Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache‘:
Auch in Deutschland werden Frauen angegriffen, wenn sie mitteilen, dass sie „einfach eine Frau“ sind, so etwa die Frauenrechtlerin Inge Bell.
Über das Plakat am Bahnhof in Frankfurt am Main, worin die Liebe zu einer Kinderbuchautorin ausgedrückt wurde und das – ebenfalls als „Hassrede“ interpretiert – wieder entfernt wurde, habe ich hier berichtet.
Der Begriff „Frau“ ist tatsächlich gefährdet. Viele staatliche oder staatlich geförderte Institutionen oder Projekte schreiben statt „Frau“ nur noch „Frau*“, mit Sternchen. Dieses Sternchen soll signalisieren, dass auch Männer, die lieber eine Frau wären, eingeschlossen sind. Dabei bezeichnet „Frau“ doch nur Menschen, die erwachsen und weiblich sind. Wenn nun aber auch männliche Menschen darunter gefasst werden und der Begriff „Frau“ als Sammelkategorie für alle Menschen verwendet wird, wird er bedeutungslos. Wir haben bereits einen Begriff, der beide Geschlechter inkludiert: Mensch.
Ausladung vom ZAS Berlin
Zurück zur Causa.
Seitens der Institution wurde Prof. Stock nahegelegt, ihr Abstract doch wieder zurückzuziehen – wohlgemerkt nachdem ihr Abstract bereits angenommen und veröffentlicht wurde. Kurz darauf wurde er wieder von der Veranstaltungswebsite gelöscht. Wieso?
Es wird vermutet, dass ein Mann, dessen Name nicht genannt wurde, sich durch ihre Anwesenheit / ihren Vortrag „unsicher gefühlt“ habe. Wohlgemerkt: Sein Vortrag hätte weder im selben Panel stattgefunden, noch wäre er Prof. Stock irgendwo begegnet, da die Tagung ja online stattfindet. Dieser Mann hatte sich vermutlich nach der Lektüre ihres Abstracts beschwert, woraufhin Prof. Stock wieder ausgeladen wurde.
Ironisch, anlässlich des Titels „Oppressive Speech“, nicht?
Integre Wissenschaftler wie der Philosoph Miroslav Imbrisevic hatten sich daraufhin an den Direktor des ZAS, Prof. Manfred Krifka, gewandt, um eine Begründung für dieses Vorgehen zu erhalten. Dieser blieb bei seiner Entscheidung, mit der Begründung, dass Prof. Stocks Abstract nicht zur Tagung passen würde. (Weshalb wurde es dann angenommen und veröffentlicht? Ist das ZAS so schlecht organisiert? Gibt es dort keine blinden Peer Verfahren?) Als zweiten Grund nannte Krifta, dass ihr Abstract als „Herabwürdigung“ einer bestimmten Menschengruppe verstanden werde. Welche Menschengruppe kann das sein, wo ist die Herabwürdigung zu finden?
Das ist freilich ein Armutszeugnis für akademische Prozesse und wissenschaftliches Ethos. Die Praxis, Akademikerinnen die Redemöglichkeit und das Wort zu entziehen, schwappt nun also auch nach Deutschland über.
Die UnterstützerInnen von Prof. Stock und von wissenschaftlicher Forschung waren freilich nicht sonderlich begeistert von dieser Einschränkung der wissenschaftlichen Freiheit. Nachdem zahlreiche Beschwerden eingingen, rechtfertigte das ZAS Berlin seine Entscheidung in diesem Statement:
Übersetzt heißt das in etwa:
Das ZAS musste den Abstract zurückziehen, weil es nicht zum wissenschaftlichen Thema des Workshops passte („oppressive speech & communication“, i.e. „unterdrückende Sprache & Kommunikation“) und Sprache enthielt, die nicht mit den Werten des ZAS übereinstimmen. Wir bedauern, dass der Abstract online gestellt wurde.
Nun fragt sich, welche „Werte“ das sind, die ein Zentrum für Sprachwissenschaft nicht vertreten kann und weshalb eine Institution, die sich mit Sprache auseinandersetzt, weder in der Lage ist, diese Werte zu kommunizieren, noch, wieso sie überhaupt ‚gewisse‘ Sprache verbieten will.
Anders lässt sich diese Farce nämlich nicht deuten.
Frauen werden für ihr politisches Engagement für Frauenrechte unverhältnismäßig oft ausgeladen, gecancelt, mundtot gemacht; hier ist eine Liste aus dem englischsprachigen Bereich zu finden.
Hoffen wir, dass die Liste für Deutschland nicht länger wird, denn auch hier werden gezielt Frauenrechtlerinnen und Frauenrechtsorganisationen antifeministisch angegriffen. Die internationale Liste ist schon lang genug.
Frauen haben erst seit rund 110 Jahren großflächig Zugang zu universitärer Bildung. Nichts weniger als die akademische Freiheit steht auf dem Spiel, wenn wir nicht mehr frei, rational, kritisch und konstruktiv miteinander diskutieren und forschen können.
Victoria Feuerstein, 19.12.2020
Ergänzung vom 20.12.2020: Umstrukturierung
Oben erwähnter Miroslav Imbrisevic teilte mir weiterführende Informationen über die Veranstaltungsorganisation mit. (Herzlichen Dank dafür!)
Statt der nun angekündigten fünf Themenkreise waren nämlich „ursprünglich 6 Themenkreise vorgesehen. Nach der Ausladung von Stock wurden diese auf 5 reduziert. Warum?
Offenbar hat nicht nur eine Kollegin aus dem Workshop „Theme 5: Bodies, Gender Identity & Misogyny (22-23 April)“ (so hieß er ursprünglich) ihr Referat zurück gezogen, sondern insgesamt 4. Die übrigen 3 Rednerinnen wurden in das Thema 4 eingegliedert, das einen erweiterten Obertitel bekam. Folgende Rednerinnen sind verschwunden:
- Claudia Bianchi (Vita-Salute San Raffaele University, Milan): Dangerous Liaisons: The Pragmatics of Sexual Negotiation
- Filipa Melo Lopes (University of Edinburgh): TBA
- Teresa Marques (LOGOS, Barcelona): Misogyny is the hatred of women
- Katharine Jenkins (University of Glasgow): Dangerous Talk: Gender Kinds, Oppression, and Covert Exercitives“
Die vorherigen Themenkreise sind über eine frühere Seitenversion von der Website der ZAS Berlin einsehbar.
„Fünf Vorträge bleiben somit dem Publikum in Berlin vorenthalten – ein Verlust für die Forschung und für die Redefreiheit in Deutschland.“
Ergänzungen, Korrekturen, Hinweise gerne an vicfeuerstein<at>women-at-work.org senden.