Ich habe in den letzten Tagen (Wochen, Jahren) viel mit Transrechtlern diskutiert und war sehr daran interessiert zu erfahren, was denn eigentlich eine „Genderidentität“ sei. Die Antworten variierten stark: niemand wisse es so genau; es sei da und doch nicht zu bezeichnen und zu begreifen; es sei ein „inneres Gefühl“ und etwas „Weiches und Fluffiges“. Allen Antworten gemein war, dass sie keine hinreichenden Antworten waren.
Folgend teile ich ein paar Gedanken mit, die keinen Anspruch auf Korrektheit haben, die ich aber für plausibel halte.
Der Gender-Gott und der Leib-Seele-Dualismus
Unter einer „Genderidentität“ verstehe ich einverleibte, kulturimmanente sexistische Stereotypen, ein metaphysisches Konzept, das – ähnlich wie ein pantheistischer Gott – den Gläubigen innewohnt, aber nicht greif-, fass- oder beschreibbar ist.
Um so ein Konzept für akzeptabel oder glaubwürdig zu halten, müssen die AnhängerInnen von einem Leib-Seele-Dualismus (René Descartes) ausgehen. Die drei Kernthesen daraus sind folgende:
- Annahme 1: Es gibt eine unbezweifelbare, nicht materielle und nicht ausgedehnte „denkende Substanz“ (res cogitans), die oft auch als Seele bezeichnet wird. Diese Seele umfasst kurz gesagt Geist und Bewusstsein und gehorcht nicht zwingend den Naturgesetzen.
- Annahme 2: Es gibt eine unabhängig von dieser Seele existierende ausgedehnte und materielle Substanz (die „Welt“), zu der auch der menschliche Körper oder Leib gehört. Diese Welt gehorcht den Naturgesetzen.
- Annahme 3: Leib und Seele gehören zwei grundsätzlich verschiedenen „Substanzen“ an, die aber kausal interagieren können. Descartes ging davon aus, dass diese Interaktion in der Zirbeldrüse stattfindet. [1]
Dieses Konzept muss man annehmen, um so ein Konzept wie eine „Genderidentität“ vertreten zu können.
Soziale Medien und das Internet bestärken diese Tendenzen zusätzlich. Menschen existieren im Internet nur über Namen und Avatare, jeder Mensch kann sich zahlreiche Charaktere und Personen aussuchen und anlegen, um in Foren, Onlinecommunities und sozialen Netzwerken zu kommunizieren, sich permanent neu erfinden und in andere Rollen schlüpfen. Der Körper wird völlig marginal und nahezu unbedeutend; das menschliche Wesen, ausgedrückt durch das geschriebene Wort, findet in diesen virtuellen Welten Anerkennung, Aufmerksamkeit, Zuspruch und sogar Zuneigung. Dafür ist kein Körper notwendig, nur der Account.
Übersexualisierung und Verantwortungslosigkeit
Zugleich erleben wir eine absolute Übersexualisierung der menschlichen Körper, und zwar von Kindesbeinen an. 8-jährige Kinder haben bereits Kontakt zu Hardcore-Pornos; die Werbung, die medialen Erzeugnisse suggerieren die Möglichkeit eines perfekten, begehrenswerten Körpers für alle. Mädchen werden von früh auf sexualisiert und als Sexualobjekte wahrgenommen, Jungs mit zu erfüllenden, oft überfordernden Männlichkeitsbildern konfrontiert. Triebbefriedigung wird spätestens ab der Pubertät zum höchsten Ziel; Triebregulation wird mittlerweile als bevormundend gedeutet. Durch permanente Überwachung(smöglichkeit) via Apps und Kontrollanrufe sind sich Kinder ihrer Unfreiheit bewusst; Verantwortung für eigenes Handeln wird auf andere Personen, Institutionen oder die „Umstände“ abgewälzt. Gleichzeitig existiert eine enorme Wahlfreiheit; Menschen können sich zu allem entscheiden, alles wählen, und sind oft nicht in der Lage, eigene, informierte und bewusste Entscheidungen zu treffen, ohne sich an Autoritäten zu orientieren.
Handlungsleitend können dabei die Vorgaben des sozialen Netzes, der Religionsgemeinschaft oder eben der Gendercommunity sein – für die Einhaltung winkt Zustimmung, Lob und gesteigertes Ansehen/soziale Gratifikation. Andersherum wird abweichendes, kritisches oder hinterfragendes Verhalten sanktioniert bishin zum Ausschluss aus der Gruppe.
Die Parallelen zu Religionen werden umso größer, wenn man einen näheren Blick auf den betriebenen Personenkult wirft.
Die narzisstische Selbstsetzung
Personen, die sich als „Trans“ outen, werden märtyrerhaft gefeiert, gelobt und mit Aufmerksamkeit überschüttet. Prominente Transpersonen gelten als Aushängeschild der Gruppe (sofern sie sich normkonform verhalten und freilich, sofern sie eigentlich Männer sind), als Deutungshoheit, als Beleg für das, was nie zu glauben gewagt wurde. Sie müssen sich nun nicht mehr für ihr eigenes Handeln rechtfertigen und Verantwortung für Entscheidungen und Taten übernehmen, sondern können sich auf ihr Transsein berufen. Die gesamte Community agiert momentan so, dass auch schadhaftes, kriminelles Verhalten durch den Verweis auf das Transsein des Täters oder der Täterin legitimiert oder zumindest entschuldigt wird. (Am krassesten in der jüngsten Zeit zu sehen bei der Amokläuferin und Mörderin Alec McKinney in Colorado. Dazu hat sich die Transcommunity unter dem Hashtag #freeAlecMcKinney geäußert, indem sie den Anschlag wegen vorhergehenden Mobbings als verständlich und nachvollziehbar framete.)
Personen, die sich als „Trans“ wahrnehmen und outen, wählen in fast allen Fällen einen neuen Namen. Statt des offiziellen Geburtstages (oder zusätzlich dazu) wird oft der „Naming Day“ gefeiert, der Tag, an dem sie entweder rechtlich oder nur sozial den neuen Namen und die neue „Identität“ tragen. (Bei Scientology wird übrigens auch der alte Name abgelegt und ein neuer vergeben.) An diesem Tag wird das „alte Leben“ zurückgelassen, zusammen mit dem „Dead Name“, also dem alten (Geburts-)Namen. Meist wird auch noch der Tag, an dem eine Hormoneinnahme begonnen wurde, als besonders denkwürdig markiert.
Im christlichen Kontext wird bei der Taufe der Name vergeben und das Taufdatum ist für die (Religions-)Gemeinschaft ein wichtiger Tag, weil das Kind an diesem Tag als zur Gemeinschaft angehörig anerkannt wurde. Die Parallelen sind offensichtlich.
Die Auslöschung der Mutter
Ebenfalls offensichtlich sind die Parallelen zwischen monotheistischen Religionen und der Genderideologie, wenn es um die Position der Frau und die Auslöschung der Mutter geht.
Monotheistische Religionen haben einen Mann, einen Gott, als Schöpfer. Dieser hat nach religiöser Vorstellung „Himmel und Erde“ sowie die Menschen erschaffen – auch wenn allen Kulturen und Kreaturen stets bewusst war, dass es die Frau ist, die das menschliche Leben in ihrem Leib kreiert, wenn auch mit minimalem Zutun (des Samens) durch einen Mann.[2] Um dieses Defizit, diesen Mangel, nie etwas so Bedeutsames wie einen Menschen aus dem eigenen Körper heraus erschaffen zu können, sahen sich Männer (Erich Fromm zufolge) zu anderen kreativen, also schöpferischen Arbeiten animiert – und wurden Architekten, Gärtner, Ingenieure etc. Allerdings stets in dem Wissen, dass sie nie alleine menschliches Leben würden schaffen können.
Nun haben nicht nur Bildbearbeitungsprogramme, sondern auch kosmetische Chirurgie den Leuten gezeigt, dass sie (theoretisch) aussehen könnten, wie sie es sich nur wünschen – und die Differenz zwischen dem eigenen virtuellen Charakter und der Selbst- vs. Fremdwahrnehmung soll dadurch ausgeglichen werden können. Der Fortschrittsglaube geht dabei so weit, dass einige Menschen tatsächlich glauben, die moderne Medizin könne sämtliche physischen Probleme lösen, zumindest teilweise. Ein „Wechseln“ des Geschlechts scheint dieser Illusion nach möglich zu sein, wenn man die vielen realitätsfernen Stimmen hört, die elementare biologische Grundlagen nicht mehr zu verstehen vorgeben. Dass dabei nur kosmetische Eingriffe vorgenommen und kaum getestete Hormone verabreicht werden, wird gerne ausgeblendet.
Durch diese Eingriffe kann der „Schöpfungsakt“ des Menschen, den die Mutter leistet, aber vermeintlich simuliert oder nachempfunden werden – es wird selbstbestimmt „ein neuer Körper“ gegeben, der mit einem neuen Namen und einem neuen Geburtstag einhergeht; Aspekte, die bei der Geburt durch die Mutter oder bei der Taufe oder Registrierung durch die Eltern gesetzt werden. Dass C. G. Jung Frauenhass auf die Schuld des Kindes an der Mutter zurückführt, und zwar die Schuld dafür, geboren zu sein und dies nie adäquat sühnen oder sich dafür adäquat bedanken/revanchieren zu können, passt dazu nur zu gut. Die „Menschwerdung“ scheint nun ein bewusster, gewollter, aktiver Akt zu sein – die Wahl eines eigenen Namens, die Wahl eines Geburtsdatums, die Wahl eines „Geschlechts“ und eines Körpers. Eine Mutter ist vermeintlich gar nicht mehr notwendig dazu, einen Menschen zu schöpfen (und wenn, dann eher als „temporärer Aufenthaltsort“, wie die unmenschliche Behandlung von euphemistisch als „Leihmütter“ bezeichneten Frauen belegt). Nicht mehr die Mutter, sondern „die Medizin“ schenkt das neue Leben. Nicht mehr der Mutter, sondern dem Chirurgen wird für das Leben gedankt – ein Akt, der durch die Bezahlung des Eingriffs ent-schuldet werden kann.
Zugleich behaupten Männer, nun auch Mütter zu sein; Genderfans behaupten, dass niemand wissen könne, was oder wer eine Frau ist; spezifisch auf Frauen und ihre Bedürfnisse und Erfahrungen ausgelegte Begriffe werden neutralisiert und ihnen das Weibliche genommen, so, als bräuchte es gar keine Mutter, um zu stillen („chest feeden“) oder zu gebären, als seien alle Geschlechter gleichermaßen dazu imstande.
Diese Bewegungen zeugen vom puren Narzissmus, einem gefährlich naiven Technik- und Fortschrittsglauben und gleichzeitig von einem fast kindhaften Bedürfnis nach Abnabelung, nach Autonomie und nach Selbstbestimmung, die allerdings von einer restriktiven, sexistischen Struktur in die nächste restriktive, sexistische Struktur fällt.
25.8.2020, Victoria Feuerstein
[1] Passus kopiert aus: https://www.argumentarium.ch/philosophie/leib-seele/77-dualismus
[2] Im Katholizismus wurde dem durch den Marienkult entgegengetreten.